Als Brasilien vor wenigen Wochen auf dem Flughafen in Rio de Janeiro den sechsmillionsten Touristen des Jahres begrüßen konnte, liess die Fremdenverkehrsbehörde Embratur vor den eingeladenen Medienvertretern kräftig die Korken knallen. Eine „historische Marke“ sei am dem besagten 5. Dezember durchbrochen worden, nie zuvor hätte das Land so viele internationale Besucher innerhalb von 12 Monaten einen Fuß auf brasilianischen Boden gesetzt.
Schon in den Vorjahren hatten sich Tourismusministerium und Embratur regelmäßig selbst auf die Schulter geklopft, hatte man die 5-Millionen-Marke bereits im Oktober oder November durchbrochen. Dass es 2013 für gleich 6 Mio. gereicht hat, ist keineswegs dem Ruf Brasiliens als ideale Tourismusdestination zu verdanken. Die gut 300.000 Besucher, die im Vorjahr für den Rekord noch gefehlt hatten, waren zu zwei Großveranstaltungen ins Land gekommen und keineswegs für eine reine Urlaubsreise: dem FIFA-Konföderationenpokal 2013 und dem Weltjugendtag in Rio de Janeiro.
Diese beiden Events hoben die Besuchermarke auf ein weitere Stufe. In den kommenden Jahre sollen Fußball-Weltmeisterschaft und Olympischen Sommerspiele 2016 selbiges tun. Bis zu 7 Mio. Touristen werden dann pro Jahr im größte Land Südamerikas erwartet, Tendenz steigend. In dem im Dezember 2009 in Hinblick auf Fußball-WM und Olympiade aufgestellten „Plano Aquarela Brasil“ wollen die Verantwortlichen in Brasília die Zahl internationaler Besucher bis 2020 sogar auf jährlich über 11 Mio. steigern. Ein ehrgeiziges Vorhaben, dem Experten inzwischen nur noch wenig Chancen auf Erfolg einräumen. Schliesslich wollte man bereits 2013 die Marke von 7 Mio. Besuchern knacken – und da waren die Pilger des Weltjugendtages gar nicht mit eingerechnet.
Brasilien unter Brics-Staaten an letzter Stelle
Brasilien gehört auch weithin nicht zu den Tourismus-Destinationen in der oberen Liga. Tatsächlich lag das Land mit Zuckerhut und Regenwald im Jahr 2012 mit 5,7 Mio. Besuchern auf dem 45. Platz weltweit. Irgendwo hinter Malaysia, Österreich, Marokko, Vietnam und Tunesien. Ein direkter Zahlenvergleich ist daher mehr als ernüchternd. Allein in den ersten zehn Monaten dieses Jahres an die spanische Provinz Katalonien mit seiner Hauptstadt Barcelona mehr als als doppelt so viele internationale Touristen empfangen wie Brasilien im ganzen Jahr: 14 Millionen. Und die britische Hauptstadt London kam im ersten Halbjahr 2013 auf 7,9 Mio. Besucher aus dem Ausland.
Auch unter der Brics-Staaten liegt Brasilien in der Statistik von 2012 abgeschlagen an letzter Stelle. China kommt auf 57,7 Mio. Besucher, Russland auf 25,7 Mio., Südafrika auf 9,2 Mio. und selbst Indien kommt mit 6,6 Mio. Touristen aus dem Ausland noch vor dem „País tropical“. Dabei ist Brasilien ein Land mit tausenden Kilometern voller exotischer Traumstrände. Mexiko liegt im Übrigen mit 23,4 Mio. an der Spitze Lateinamerikas und ist für Brasilien natürlich unerreichbar. Aber wenn selbst Länder wie beispielsweise Argentinien mächtig aufholen und wie 2012 mit 5,6 Mio. Besuchern nur noch knapp hinter Brasilien angesiedelt sind, sollte bei den Verantwortlichen die Alarmglocken läuten.
Experten haben die Probleme längst erkannt: gleich eine ganze Reihe von Faktoren ist ihrer Meinung nach für die schlechte Position Brasilien im Tourismus-Ranking verantwortlich. Darunter sei die ausufernde Hochpreispolitik und einer laue Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu anderen Destinationen. Zudem sei die internationale Fluganbindung unzureichend, Regierung und Tourismussektor würden das Land nicht ausreichend genug bewerben und nicht zuletzt läge Brasilien eben etwas zu weit weg vom Schuss.
Die Lage und die Dimensionen des gigantischen Landes können schrecken aber auch tatsächlich ein wenig ab. Bedenkt man, dass weltweit 85 Prozent des Tourismus lediglich grenzüberschreitend ist, die Menschen also in der Regel nur in ihre jeweiligen Nachbarländer oder innerhalb ihres Kontinents verreisen, steht Brasilien ziemlich isoliert da. Nicht verwunderlich ist daher auch, dass die Mehrheit der ausländischen Besucher aus Argentinien kommt. Die anderen Märkte wie Chile und Uruguay sind einfach zu klein, in den anderen südamerikanischen Ländern fehlt den Menschen oftmals schlichtweg das Geld zum Verreisen.
Um Brasilien für Touristen aus Nordamerika, Europa oder dem stark wachsenden asiatischen Markt interessanter zu machen, bedarf es mehr Wettbewerbsfähigkeit und eine deutlich verbesserte Infrastruktur. Heute ist es wesentlich teurer, seinen Urlaub an der brasilianischen Atlantikküste zu verbringen als in der Karibik auf Kuba, Jamaika oder der Dominikanischen Republik. Im internationalen Vergleich lag Brasilien 2013 gemäß einer Studie des Weltwirtschaftsforums bei der Wettbewerbsfähigkeit im Tourismussektor auf dem 51. Platz von 140 untersuchten Ländern. Bei Kostenvergleich rutscht das Land von Ordnung und Fortschritt sogar auf den 126. Platz ab.
Regierung und Tourismussektor beschuldigen sich gegenseitig
Bei der Embratur hat man dies längst begriffen. Doch Regierung und Privatwirtschaft schieben sich den schwarzen Peter gegenseitig zu. Fordern die Politiker in Brasília lauthals, die Hoteliers sollen sich an den Übernachtungskosten gefälligst keine goldene Nase verdienen, schimpfen diese regelmäßig über eine ihrer Meinung nach exorbitant hohe Steuerbelastung. Diese Diskussion hat im Vorfeld der in wenigen Monaten stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaft bereits internationales Interesse erregt. Nach drastischen Erhöhungen von Flug- und Zimmerpreisen wurden Anti-Wucher-Maßnahmen angekündigt, die jedoch nur halbherzig greifen. Deutlich tiefer in die Tasche greifen muss der Besucher während des Turniers auf jeden Fall.
Aber hohe Kosten sind nur ein negativer Aspekt, den interessierte Urlauber bei der Wahl von Brasilien als nächsten Urlaubsort mit in die Überlegungen einbeziehen. Fehlende Infrastruktur, hohe Kriminalität und kein nachhaltiger Umgang der lokalen Reiseveranstalter mit der Natur – dies sind nur einige Punkte, die Touristen abschrecken. Dabei ist stimmt vieles davon nicht oder ist nur die halbe Wahrheit. Öko-Touristen können in Brasilien mit Sicherheit voll auf ihre Kosten kommen, wenn sie es sich den leisten wollen. Pauschaltourismus wie in Mexiko oder der Karibik ist – sieht man von einigen wenigen Resorts an der Küste im Nordosten des Landes einmal ab – absolute Mangelware.
So bleibt am Ende nur der deutlich teurere Individualurlaub übrig. In einem Land so groß wie ein Kontinent, wo kaum jemand etwas anderes als portugiesisch spricht. Und alles so teuer wie daheim ist und man stets irgendwie das Gefühl hat, abgezockt zu werden. Und wo der Staat mit schöner Regelmässigkeit mit Panzern gegen Drogendealer vorgeht oder kostbarer Regenwald und die darin lebenden Indianer für Rinderzucht oder Soja weichen müssen. Wo Korruption an der Tagesordnung ist und die Menschen das Leben nur aufgrund von Fußball, Samba und Karneval halbwegs ertragen können. Wenn man sich der gängigen Klischees bedient, die trotz gewaltiger Anstrengungen noch immer im Ausland vorherrschen. Dass dies daher für viele kein reizvolles Ziel für die mühsam erarbeiteten und zusammengesparten Urlaubstage darstellt, ist kaum verwunderlich!